Disrupted

2019
C-print, ink on paper, building fragment, porcelain, tin, laser-print, petrification, book, video (16:9, HD, stereo, 13min), table, chair
140 x 160 x 140cm

Abstract
Der auffälligste Baustein von «Disrupted» ist ein Video. Zu sehen sind unterschiedliche Situationen von Bodenverflüssigungen, welche bei starken Erdbeben stattfinden können. Zu hören ist nicht die Originaltonspur, sondern eine flüsternde Stimme, die Entspannung heraufbeschwört. Die Arbeit «Disrupted» möchte durch eine ihr eigene Logik komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigen. Dazu dient neben dem Video auch die Fotografie an der Wand, die auch auf die auf dem Tisch ausgebreiteten Elemente Bezug nimmt. Sie versinnbildlicht die Verbindung von Makro- und Mikroebene – der sich verflüssigenden Stadt und dem menschlichen Körper. Dazu fassen zwei Hände eine Gegenüberstellung: auf der rechten Seite findet sich der Plan einer Modellstadt der Metabolisten. Daneben liegt eine Skizze eines künstlichen Herzens. Die Metabolisten begreifen die Stadt als urbanen Organismus, der kontinuierlicher Erneuerung ausgesetzt ist, was durch die Skizzen der Endoprothesen reaktiviert wird. Die gesamte Auslegeordnung versteht sich dabei als Geste einer «Archäologie der Instabilität», die auf die Verletzlichkeit von vom Menschen geschaffener Systeme, beeinflusster Ökologien so auch diejenige seines Organismus verweist und diese Verletzlichkeit zwischen planetarer Dystopie, technologischem Fortschritt und persönlichem Wellbeing in einem künstlerischen Syntagma assoziativ verhandelt.

Disrupted (2019) at «Auswahl 19», Aargauer Kunsthaus, Aarau

Projektbeschrieb
«I want to be a seashell, I want to be a god, I want to be a bacterium» verkündete dereinst Noboru Kawazoe, japanischer Autor und Architekturtheoretiker, der zusammen mit seiner Frau Yasuko 1960 das Manifest «Metabolism» verfasste. Der Stoffwechsel als Symbol für den essentiellen Austausch von Material und Energie zwischen Organismus und Außenwelt war für die Gruppe der Metabolisten ideelles Zentrum ihrer Theorien. Sie übertrugen den organischen Lebenszyklus von Geburt und Wachstum auf den Städtebau und die Architektur und fassten Städte als „urbane Organismen“ auf. Die Vorstellung einer kontinuierlichen Erneuerung dank Wachstum – ein regelmäßiges Ersetzen des Alten durch Neues – war in dem in einer seismischen Aktivitätszone gelegenen Japan gewissermassen eine Selbstverständlichkeit.
Ausgangspunkt der Arbeit «Disrupted» ist ein Video, welches aus in Online-Archiven gefundene Aufnahmen besteht, die unmittelbar nach einem Erdbeben entstanden sind. Auf den Bildern sind Bodenbewegungen, Brüche und Risse zu sehen, die durch die vom Erdbeben herbeigeführte Bodenverflüssigung hervorgerufen werden.
Die Tonspur zu diesen teils hypnotisch anmutenden, eigentlich aber beängstigenden und dystopisch wirkenden Bildern besteht aus einer Autonomous Sensory Meridian Response (ASMR)-Aufnahme. Zu hören ist eine flüsternde Frauenstimme, die auf YouTube die Entspannung ihrer Follower heraufbeschwört. Die ausgeprägten plosiven Wortlaute sollen dazu besonders effektiv sein. CNBC beschreibt die der Ton-Berührung-Synästhesie verwandten und noch weitgehend unerforschten ASMR als «a trendy kind of video that uses soft sounds to help people feel calm.» Das Video zeichnet sich durch eine starke Polarität zwischen Bild und Ton aus, geht dabei über das Thema von Anspannung und Entspannung eine Verbindung ein und zeigt überraschende inhaltliche Berührungspunkte, so bspw. wenn die flüsternde Stimme wiederholend sagt «this is what you deserve».
Die gerahmte Fotografie über dem Tisch eröffnet ein Spannungsfeld zwischen der Makro- und Mikroebene – der sich verflüssigenden Stadt und dem menschlichen Körper. Zwei Hände fassen eine Gegenüberstellung: auf der rechten Seite der Plan für eine Modellstadt ausserhalb der alten Stadtmauern von Datong (China) - auf dem das durch die Metabolisten beschriebene städtebauliche Prinzip der Wiederholung zur Formung einer «megastructure» sichtbar wird. Daneben liegt ein aus einem Patentantrag entnommener Plan eines künstliches Herzes aus dem Jahr 1970. Das Thema der kontinuierlichen Erneuerung wird hier durch die
Skizze der Endoprothese aktiviert. Gleichzeitig wird mit dem «artificial heart» die Frage nach der selbstverständlich werdenden Künstlichkeit im und des «posthumanen» Organismus gestellt.
Die Arbeit «Disrupted» möchte durch eine ihr eigenen Logik komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigen. Dazu dient neben dem Video und der erwähnten Fotografie die auf einem alten Küchentisch ausgebreiteten Zeichnungen, Textfragmente, Fotogrammetrien und Objekte. Die Auslegeordnung versteht sich als Geste einer «Archäologie der Instabilität», die auf die Verletzlichkeit von vom Menschen geschaffener Systeme, beeinflusster Ökologien so auch diejenige seines Organismus verweist und diese Verletzlichkeit zwischen Dystopie, technologischem Fortschritt und persönlichem Wellbeing in einem künstlerischen Syntagma verhandelt.